Zwei EM-Qualifikationsspiele muss die deutsche Nationalmannschaft noch vor der Sommerpause absolvieren. Das eine am Samstag in Weißrussland, das andere nächste Woche Dienstag zu Hause gegen Estland. Beide Spiele sind Aufgaben, die Assistenztrainer Marcus Sorg ohne seinen Chef erledigt. Bundestrainer Joachim Löw, inzwischen aus der Klinik entlassen, muss sich noch von seinem Sportunfall erholen.
Umso erstaunlicher ist jedoch, dass Joachim Löw jetzt im Kicker seine Sorge zum Ausdruck gebracht hat, dass seine verjüngte Mannschaft nicht mehr die Dominanz vergangener Tage ausstrahlt. Er sagte wörtlich: „Unsere jetzige Mannschaft mit sehr vielen jungen Spielern ist noch nicht so gefestigt, diese Stabilität und dieses Selbstbewusstsein müssen sich erst noch entwickeln.“ Diese Feststellung ist ein Armutszeugnis.
Löw räumt damit erstmals ein, dass er den Generationswechsel in seiner eigenen Nationalmannschaft versäumt hat. Bis zur verkorksten WM 2018 vertraute er einer alten Garde von Spielern und wurde bitte enttäuscht. Mit dem Abschied der drei Bayern-Stars Mats Hummels, Thomas Müller und Jerome Boateng zog er zwar Konsequenzen, um Platz für neue Leitwölfe zu schaffen. Den Übergang aber hat er fahrlässig gestaltet.
Stabilität und Selbstbewusstsein müssten vorhanden sein
Bei einem gut organisierten Übergang wären die Nachrücker in seiner Hierarchie – von Leroy Sané und Joshua Kimmich über Leon Goretzka und Julian Brandt bis Kai Havertz und Serge Gnabry – längst in einer Rolle, die Stabilität und Selbstbewusstsein ausstrahlt. Bei Löw klingt das gerade so, als beginne er gerade mit einer Ausbildung dieser Nationalspieler. Da fragt man sich schon: Was hat er denn mit diesen Leuten die ganze Zeit gemacht?
Siegermentalität zeichnet sich dadurch aus, dass sie von Spielergeneration zu Spielergeneration weitergereicht wird, quasi zur DNA einer Mannschaft gehört. Siehe FC Bayern. Stimmt die Diagnose von Löw, gesteht er sich selbst das größte Versäumnis seiner 15-jährigen Amtszeit als Bundestrainer ein. Er und niemand anderes war für die Häutung der Nationalelf verantwortlich. Jetzt rächt es sich, wenn man nur von Turnier zu Turnier denkt.
Die DFB-Führung ist zurzeit mit sich selbst beschäftigt, um dem Verband neue Strukturen und ein neues Oberhaupt anzudienen. Darüber dürfen die Interimspräsidenten Rainer Koch und Reinhard Rauball aber ihrerseits nicht vergessen, mögliche Antworten auf die Zukunftsfragen der Nationalelf rechtzeitig zu finden. Dazu gehört die Frage des künftigen Bundestrainers. Was passiert, wenn Löw der Generationswechsel nicht gelingt?
Hat der DFB schon mit Jürgen Klopp gesprochen?
In Liverpool bewies Jürgen Klopp jetzt zum dritten Mal, dass er in der Lage ist, erstens Spielstil und Personalbesetzung vortrefflich aufeinander abzustimmen, zweitens seine ganz persönliche Lernkurve zu beschreiten (lieber schlecht spielen und gewinnen als schön spielen und verlieren). Es wäre fatal, wenn ihm noch niemand vom DFB Signale gesendet hätte, dass ihn der Verband womöglich irgendwann braucht.
Der DFB zeigte nämlich nicht immer ein glückliches Händchen, wenn ein Trainer über Nacht gefunden werden musste. Wer wäre denn auf dem Markt? Vielleicht Ralf Rangnick. Natürlich Marcus Sorg. Womöglich irgendwann Julian Nagelsmann. Aber das sind Fragen, die man heute angehen muss und nicht, wenn die Not groß ist. Im Fall der Nationalspieler lernt man ja: Selbstverständlich ist eine Selbstverständlichkeit nicht immer.
Foto: Imago Images / Revierfoto