Hans-Joachim Watzke irrt gewaltig, wenn er wirklich meint, dass Borussia Dortmund keinen weiteren Mittelstürmer braucht. Der BVB-Geschäftsführer kann sich nicht allen Ernstes darauf verlassen, dass Paco Alcacer die 18 Tore aus seiner ersten Bundesliga-Saison wiederholt. Und selbst wenn: Am Ende fehlten trotzdem sieben Tore auf Bayern München. Es waren im Titelrennen vielleicht die entscheidenden am Ende.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Alcacer ist ein wunderbarer Stürmer. Ein exzellenter Abstauber, ein präziser Schütze im Strafraum und beim Freistoß. Eine der Überraschungen der Saison. Aber es hat Gründe, warum Paco Alcacer in 26 Bundesliga-Einsätzen im Schnitt nur auf 46 Spielminuten kommt. Bei seinen früheren Arbeitgebern Valencia, Getafe und Barcelona in der LaLiga waren es mit 56 Spielminuten auch nicht viel mehr.
Alcacer ist ein Stürmer für besondere Momente
Er ist ein Mann für besondere Momente, gar keine Frage. Aber die Luft reicht nicht für volle 90 Minuten. Sportdirektor Michael Zorc selbst hat mehrfach in der Saison körperliche Defizite, sprich: Trainingsrückstand thematisiert. BVB-Trainer Lucien Favre wird immer vor der Frage stehen: Lasse ich Alcacer die Spielhälfte von Anfang an oder nach der Pause absolvieren? Was man vermisst: das Back-Up.
Borussia Dortmund hat für sein druckvolles Angriffsspiel Verstärkungen verpflichtet, die für Furore sorgen werden. Julian Brandt vorneweg. Bei einer Investition von 120 Mio. Euro wäre es bedauerlich, wenn am Ende wieder ein Rammbock fehlte. Einer wie Mario Mandzukic zum Beispiel, der auch dann trifft, wenn’s sonst keiner tut. Dessen große Zeit ist zwar vorbei (nur neun Tore in Italien). Aber als Ergänzung zu Alcacer: Das wäre sinnvoll.
Noch besser wäre: Timo Werner. Der Mittelstürmer von RB Leipzig passt perfekt zu Borussia Dortmund: er ist schnell, torgefährlich und mit seinen 23 Jahren titelhungrig – nach diesem Beuteschema baut Watzke eine Mannschaft auf, die Meister werden kann. Jeder Euro Ablöse bekäme man in drei, vier Jahren beim Weiterverkauf doppelt und dreifach zurück. Die Gelegenheit ist günstig: Angeblich hat Bayern München sein Interesse an ihm verloren. Also BVB?
Ein zweiter Stürmer muss beim BVB her
Watzke meint: Für die Sturmmitte gebe es ja Mario Götze, Thorgan Hazard und Jacob Bruun Larsen. Nicht zu vergessen: Marco Reus. Aber man muss sich nur an das 0:5 von München erinnern, um die geplante Personalrochade als Flickschusterei zu entlarven. Reus fühlte sich damals in der Sturmmitte alleingelassen. Götze erschien dem Trainer nicht als passende Lösung. Und Hazard – kommt mit der Empfehlung von nur zehn Saisontoren aus Gladbach.
Über die Saison funktionierte der Teilzeit-Alcacer auch deshalb, weil Reus aus dem offensiven Mittelfeld 17 Tore beisteuerte, Borussia Dortmund also die Nummer 2 und 3 der deutschen Torjägerliste stellte. Dabei ging unter, dass Alcacer zwar ein vorzüglicher Torschütze ist, aber keiner, der (a) Löcher in die Abwehr reißt oder (b) Tore vorbereitet. Nicht einen einzigen BVB-Treffer hat er 2018/19 in der Bundesliga aufgelegt.
Ohnehin ist Watzkes Vergleich mit Robert Lewandowski vermessen. Erstens hat der Bayern-Torjäger über Jahre seine Treffsicherheit zählbar nachgewiesen, zuletzt mit 22 Toren. Zweitens kam Lewandowski auf durchschnittlich 89 Spielminuten in 33 Bundesliga-Einsätzen, was an sich eine größere Wirkung als Mittelstürmer bedeutet. Drittens brachte er mit zehn Assists seine Nebenleute in Position. Alcacer nicht.